Die AfD am Scheideweg

Von Dr. Jens Wilharm

Nur wenige Monate vor der Bundestagswahl steht die AfD vor einer innerparteilichen Zerreißprobe, die zu einer erneuten Spaltung führen könnte. Die Mitglieder sind in heller Aufregung. Auslöser der schwersten Parteikrise seit der ersten Spaltung im Jahre 2015 ist eine Rede, die der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke im Januar in Dresden gehalten hat. Sie war nicht nur der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung in der AfD, die dazu geführt hat, dass Inhalte, die den Randbereich zum Rechtsextremismus berühren, in einem kleinen Teil der Partei immer mehr salonfähig werden. Sie war ein Paukenschlag, der dazu geführt hat, dass viele wach geworden sind. Ich selbst bin eine Zeit lang blind gewesen für diese Entwicklung, die sich ja nicht von heute auf morgen vollzogen hat.

Um es vorweg zu nehmen. Ja, ich glaube es muss jetzt etwas passieren. Es wird nicht funktionieren, wenn jetzt alle versuchen, sich zusammenzureißen und die Probleme unter den Teppich zu kehren. Aus der begründeten Angst heraus, eine nach außen hin einige Partei erziele ein besseres Wahlergebnis bei der Bundestagswahl als eine zerstrittene. Es wird nicht mehr funktionieren. Dazu ist es dieses Mal schon zu weit gegangen. Es wäre auch nicht ehrlich und nicht mehr glaubwürdig.

Dies muss man ganz klar sagen. Hätte Björn Höcke diese Rede nicht gehalten, bräuchte man sich heute nicht über eine Spaltung der Partei zu unterhalten.

Hätte Björn Höcke diese Rede nicht gehalten, wären nicht hunderte Mitglieder ausgetreten.

Hätte Björn Höcke diese Rede nicht gehalten, wäre es nicht im ganzen Land, bis hinunter auf die Ebene der Kreisverbände, zu einer Spaltung der Mitglieder in Höcke-Unterstützer und Höcke-Gegner gekommen.

Hätte Björn Höcke diese Rede nicht gehalten, hätte nicht die Maritim-Hotelkette erklären müssen, dass die AfD künftig in ihren Häusern nicht mehr willkommen sei. Ohne Zweifel gefolgt von vielen weiteren Gastronomen. War es zuvor ohnehin schon schwer, für AfD-Veranstaltungen noch Räumlichkeiten zu finden, so dürfte es nun mancherorts geradezu unmöglich werden.

Hätte Björn Höcke diese Rede nicht gehalten, hätte Alexander Gauland, einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der AfD und Landesvorsitzender der AfD Brandenburg, nicht Björn Höcke mit Solidaritätsadressen beispringen müssen. Bis hin zu der Forderung, Höcke solle nun für den Bundestag kandidieren. Gauland hat sich damit zu einhundert Prozent auf die Seite Höckes gestellt. Zusammen mit seinem gesamten Landesvorstand. In Brandenburg ist die AfD damit für Wähler aus der bürgerlichen Mitte nicht mehr wählbar. Das mag das Wahlergebnis in Brandenburg weniger beeinflussen als in den alten Bundesländern.

Hätte Björn Höcke diese Rede nicht gehalten, hätte nicht Paul Hampel, Bundesvorstandsmitglied und Landesvorsitzender der AfD Niedersachsen, erklären müssen, was Höcke gesagt habe, sei zwar nicht sein Sprachduktus, aber inhaltlich vollkommen in Ordnung. Die erinnerungspolitische 180-Grad-Wende, dass andersdenkende Mitglieder nur „die Halben“ sind und weitere Elemente der Höcke-Rede sind also inhaltlich in Ordnung? Hampel hat damit die ganze AfD Niedersachsen in der Außenwahrnehmung auf eine Linie mit Gauland und Höcke gebracht. Solange Hampel dabei bleibt, ist die AfD in Niedersachsen damit für Wähler aus der bürgerlichen Mitte nicht mehr wählbar. In Niedersachsen dürfte das das Wahlergebnis wesentlich beeinflussen. Doch noch besteht Hoffnung. In Niedersachsen stützt der Landesvorstand nicht einstimmig diese Auffassung.

Hätte Björn Höcke diese Rede nicht gehalten, dann hätte sich der Bundesvorsitzende der NPD nicht dazu berufen gefühlt, Höcke Asyl in der NPD anzubieten. „Wenn die AfD beginnt, aufrechte Patrioten wie Herrn Höcke auszuschließen, dann bieten wir diesen selbstverständlich eine neue politische Heimat in der NPD an. Wir grenzen uns nicht ab!“, sagte der NPD-Vorsitzende.

Dass all dies nicht parteischädigend ist, kann niemand ernsthaft behaupten wollen. Der Parteiausschluss von Höcke ist für mich unvermeidlich. Weil es nicht das erste Mal ist. Nicht das erste Mal, dass viele Mitglieder wegen seiner Äußerungen die Partei verlassen haben. Nicht das erste Mal, dass im Bundesvorstand deshalb ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde.

Weil er ein Wiederholungstäter ist. Weil er immer wieder gelobt hat, dass er sich in Zukunft zurückhaltender äußern wird. Weil er diejenigen betrogen hat, die ihm das geglaubt haben. Dazu zähle auch ich mich, der noch im Januar 2016 in Erfurt gesprochen hat, weil ich mich darüber geärgert hatte, dass viele AfD-Vorstandmitglieder damals nicht neben Björn Höcke auf der Bühne stehen wollten, um sich nicht zu verbrennen. Dazu zählte damals auch der niedersächsische Landesvorsitzende Paul Hampel. Der hatte dem Veranstalter einer Kundgebung in Paderborn sogar mitgeteilt, dass er dort nicht auftreten werde, wenn auch Björn Höcke dort sprechen sollte. Heute hat Hampel seine Fahne um 180 Grad gewendet, weil er es für opportun hält. Warum eigentlich? Ist es nur deshalb, weil es niemand anderen mehr gibt, mit dem er sich verbünden könnte? Oder ist er zu der Erkenntnis gelangt, dass sich dort eine Mehrheit der Partei inhaltlich verortet? Wenn das so sein sollte, dann hätte sich die AfD schon heute so sehr von der bürgerlichen Mitte entfernt, dass sie langfristig wohl nicht mehr zu retten wäre. Ich mag das noch nicht glauben. Die AfD steht noch am Scheideweg. Sie muss jetzt reinen Tisch machen.

Ob sich nun die AfD erneut spalten wird, hängt wohl weniger von Björn Höcke ab als von denen, die sich mit ihm solidarisieren und inhaltlich mit ihm übereinstimmen. Davon, wie viele das sind. Diese müssen sich fragen lassen, was für die Zukunft unseres Landes wichtiger ist. Eine Person oder die Partei. Die einzige Alternative zu den etablierten Parteien. Die erfolgreichste Parteineugründung seit Jahrzehnten.

Der größte Schaden für Deutschland entstünde durch eine nachhaltige Beschädigung der AfD. Der geringste Schaden für die AfD entstünde durch den freiwilligen Austritt von Björn Höcke. Das wäre dann sogar gesichtswahrend möglich und jeder könnte ihm dafür größten Respekt zollen. Wem es wirklich um unser Land geht, wie Björn Höcke immer überzeugend vortrug, der sollte sich jetzt eingestehen, dass er einen Schritt zu weit gegangen ist. Und danach handeln.

Über eines muss sich jeder im Klaren sein. Wenn das jetzt am Ende keine Konsequenzen hat, dann wird Björn Höcke aus dieser Krise erneut gestärkt hervorgehen. Er wird dann in der Zukunft nicht mehr aufzuhalten sein. Das mag so mancher in der Partei gut finden. Das ist aber dann nicht mehr die AfD, in die ich 2013 eingetreten bin.